Auf den Punkt gebracht: Wer wurde 1945 von den Nazis befreit? Ganz ehrlich: Das waren die Zwangsarbeiter, die unter elendigen Bedingungen für den Endsieg schuften mussten; bis auf Blut gequält von Sadisten. Und es waren Lagerinsassen, nur sehr wenige hatten überlebt. Zu Skeletten abgemagert, mit massiven Traumata ins weitere Leben gegangen. So viele Familienangehörige, die Liebesten, verloren. Grausamer, elendiger Tod, einsamer Tod in der grauen Masse. Nie wieder darüber sprechen.

Und sie, die Deutschen, wussten es. Die nach dem Kriegsende vorschoben, befreit worden zu sein. Thomas Mann, in seinen Rundfunkansprachen während des Krieges, offenbarte das ganze verbrecherische Tun. Er benannte ganz klar die Beispielslosigkeit der Verbrechen. Ja, sie wussten es. Nach dem Ende des Krieges wurde Thomas Mann kübelweise mit Hass überschüttet. Das ist eine aus nicht eingestandener Schuld resultierende Projektion. Die Deutschen versuchten sich nach dem Krieg in der Vorstellung eines verführten und leidenden Volks einzurichten. Da störten die so brutalen Fakten. Man ist halt irgendwie hineingeraten, in Abgründe. Nie wieder darüber sprechen, in einem Land mit vielen Millionen Nazivergangenheiten. Erinnern und daraus lernen?
Anpassertum an den Nazismus und Opportunismus eine Tugend? Heute wie damals? Damals wie heute? Die Entnazifizierungsverfahren waren damals meistens eine Farce. So viele jubelten mit heißem Herzen dem Führer zu und taten bis zum Schluss ihr „Bestes“ – bis hin zu Standgerichten, die noch nach dem Kriegsende „Urteile“ vollstreckten.
Eine Randnotiz? In den Gründungsjahren der Bundesrepublik, da galten die Offiziere vom 20. Juli als Landesverräter und wurden verachtet; sie trügen alleine die Schuld am verlorenen Krieg. Doch das Datum zeigte, was alle möglich gewesen wäre. Und es entlarvt die Behauptung, man habe von den Verbrechen ja nichts wissen können, als ein Märchen. Der so hochgelobte Bundeskanzler Adenauer gab Ehrenerklärungen für ehemalige Wehrmachtssoldaten ab, kein Wort zu den Überlebenden und Hinterbliebenen der Offiziere des 20. Juli angesichts der scharfen Verleumdungskampagnen gegen sie. Nicht die Täter waren in der Defensive, sondern die Opfer. Lange Jahre galten die Familien der Offiziere von 20. Juli als Verräterfamilien. Doch – oh Wunder – irgendwann brauchte man ja einen Persilschein für die so reine und hehre Wehrmacht, die musste reingewaschen werden, von so unsäglichen Verbrechen. Schwupps: Klar die Offiziere vom 20. Juli, das waren die Vertreter der guten Deutschen! Es waren ja nur ein paar böse Menschen, die zu Recht in Nürnberg verurteilt wurden. Aus Verrätern sind nun Helden geworden. Irre, nicht wahr? Doch nun aber ist es endlich an der Zeit, nie wieder darüber zu sprechen!
Nun, nach dem Krieg waren die Zeiten auch nicht rosig. Die Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Kriegsstaat hatten den Deutschen ihre Affinität zur Gewalt nicht „ausgetrieben“, nein. Die Lebensumstände nach dem Krieg förderten Gewalttaten: Städte und Infrastruktur waren großflächig zerstört, Millionen von Menschen waren Tod, ausquartiert oder auf der Flucht. Die Grundversorgung war nicht sichergestellt und die Kriminalitätsrate war hoch. Raubmord drohte zum Volkssport zu werden. In all diesem Ringen um einen geordneten und geregelten Alltag spielt dies eine nicht unerhebliche Rolle. Nie wieder darüber sprechen, man war ja nur ein armes, willenloses und verführtes Opfer. Gerade wenn man Täter war. Summa Summarum: Die so viel zitierte Stunde „Null“ hat es nie gegeben, so viel verdrängtes und verleugnetes über die Familiengeschichte prägt unser Land auf unbewusster und unbearbeiteter Ebene; weit mehr, als uns das als freiheitsliebende Demokraten recht ist. Nochmals: Befreit wurden damals nur die Zwangsarbeiter und die Lagerinsassen.
Rüdiger Schaller, 07.05.2025
Autor des Buches: In die Stille
Mehr zu nährenden und vergifteten Wurzeln in uns und in unserer Gesellschaft:
Von nährenden und von vergifteten Wurzeln / Reflektionen | ruedigerschaller.de
Nachtrag - es gab in dem letzten großen Weltenbrand auch Menschen, die Menschen blieben und Mitmenschlichkeit lebten.
Gerechte unter den Völker:
Bis zum 1. Januar 2005 hatten 20.757 Personen den Titel eines Gerechten erhalten, darunter 5.874 Polen, 4.638 Niederländer, aber nur 410 Deutsche. Dabei muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Kriterien Yad Vashems nur auf einen engen Kreis stark engagierter Retter zutreffen.
Ein weiterer Nachtrag - Menschen, die Mitmenschlichkeit lebten: Ein paar prominente Beispiele: Oskar Schindler, Bonhoeffer, die Mitglieder der weißen Rose, der Kreisauer Kreis. An dieser Stelle nur ein weiteres Beispiel für Mut machende Zivilcourage: Tief in Russland, 1942, ließ Albert Battel die Brücke über einen Fluss sperren, der den einzigen Zugang zu einem Ghetto darstellte. Das anrückende SS-Kommando zog nach Androhung von Waffengewalt durch Battel´s Männer unverrichteter Dinge wieder ab. 500 Menschen jüdischen Glaubens wurden gerettet.
Es wäre so viel möglich gewesen, das zeigen all die Beispiele. Von daher nochmals klar und trennscharf: Befreit wurden damals nur die Zwangsarbeiter und die Lagerinsassen.
Zum Tod von Margot Friedländer:
"Ihr seid Menschen!" Margot Friedländer, im Alter von 103 Jahre vor kurzem verstorben, eine Überlebende des Holocausts und von Zwangsarbeit, ruft uns das zu. Warum muss uns eine Überlebende, deren ganze Familie ausgelöscht wurde, uns daran erinnern: Bleibt Mensch.
Sie war eine der Letzten, die uns das Grauen des Nationalsozialismus und die Verbrechen unserer Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern vor Augen führte. Dabei war sie nie verbittert oder wütend, obwohl sie dazu jedes Recht gehabt hätte.
Ihren Blick richtete sie immer nach vorne. „Was geschehen ist, ist geschehen, das können wir nicht mehr ändern“, sagte sie. Und: "Wir müssten dafür sorgen, dass es nicht wieder geschieht."
Doch wie andere Überlebende nahm Margot Friedländer sehr genau wahr, was in den vergangenen Jahren hier in Deutschland passierte, welche Partei plötzlich wieder Erfolge feierte. Wie antisemitische Übergriffe zunahmen, wie Unsagbares wieder sagbar wurde. Sie blieb immer freundlich, aber sie wurde auch immer eindringlicher. Sie hat zuletzt sehr oft gesagt: „So hat es damals auch angefangen.“
Nochmals: Warum muss eine Überlebende des Holocaust uns daran erinnern: Bleibt Mensch.
Leider noch ein wichtiger Nachtrag: Die kalte Arroganz der Täter, die sich so feige in die Opferrolle geflüchtet haben und nun die wirklichen Opfer von oben herab belehren wollen. Der Bundespräsident erinnert zwar bei seiner Reise nach Griechenland an die deutschen Kriegsverbrechen. Aber von Reparationen will er nichts wissen. Doch kein Land in Europa litt gemessen an seiner Größe so sehr wie Griechenland an den NS-Verbrechen. Schmallippig: Nein wir zahlen nichts. Bei uns ist ja auch so viel kaputt geganen....
Aber die Verbrechen der Deutschen bleiben Verbrechen. Nein, nicht Griechenland hat Deutschland überfallen. Es war umgekehrt. Die Deutschen haben den Weltenbrand entfacht, waren der Agressor und die Verbrecher gegen die Menschlichkeit. Und haben das Höllenfeuer - wie, um nur ein Beispiel zu nennen, in Dresden - zu Recht geerntet. Nun werden Krokodilstränen geweint: Bei uns in Deutschland ist ja auch so viel kaputt gegangen. Oh Gott, wir armen deutschen Opfer. Welche eiskalte Arroganz der Täter!
Millionen deutscher Soldaten hatten Europa überfallen, Greueltaten begangen, wie - nur eines von so unsäglich vielen Verbrechen gegen die Menschlichkeit - die Hugerblockade von Leningrad. Hundertausende Zivilisten verhungerten in erbärmlichen Umständen; auch der so hochgelobte spätere Bundespräsident Weizsäcker war dabei. Doch am Ende war Deutschland zu Wasser, zu Luft und zu Lande militärisch besiegt: Eine totale Niederlage! Europa war endlich von den Deutschen befreit.
Bei all diesem Verleugen und Verdrägen der eigenen unsäglich großen Schuld: Wie soll da ein "bleibt Mensch" gelingen?



Erinnerung: Kreta, einige Schritte nach dem Ausgang der Saramriaschlucht. Taten, von Deutschen begangen.
Erinnerungen: Die Mauthauskantate, von Mikis Theodorakis, vertont von Konstantin Wecker:
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