Shinrin-Yoku – mein Pfad zur Demut

Veröffentlicht am 8. Januar 2025 um 19:01

Mein Blick schweift ab vom Laptop, hin zu dem nahen Stadtwald. Von meinem Arbeitszimmer aus kann ich ihn gut sehen. Es hatte vorhin geregnet, doch nun scheint die Sonne. Die Arbeit geht mir nicht so recht von der Hand. So mache ich Feierabend, gehe zu meiner Vespa und fahre Richtung Wald.

Shinrin-Yoku – mein Pfad zur Demut

Mein Blick schweift ab vom Laptop, hin zu dem nahen Stadtwald. Von meinem Arbeitszimmer aus kann ich ihn gut sehen. Es hatte vorhin geregnet, doch nun scheint die Sonne. Die Arbeit geht mir nicht so recht von der Hand. So mache ich Feierabend, gehe zu meiner Vespa und fahre Richtung Wald.

Von dem Parkplatz führt ein breiter Weg in den Wald, umsäumt von hohen, majestätischen Laubbäumen. Mischwald. Es sieht so aus, als würde ich eine Kathedrale betreten. Durch das Laub der Blätter brechen sich die Strahlen der Sonne.

Ich verlangsame meinen Gang, vermesse meine Schritte mit meinem Atem. So werde ich ruhiger. Tief atme ich dabei die von Ionen geschwängerte Luft ein, mein Asthma vergesse ich. Nach einer Weile komme ich zu meinem Lieblingsbaum, einer mächtigen Buche.

Zwischen ihren großen Wurzeln, da lege ich mein Sitzkissen nieder und nehme Platz. Lehne mich an ihren festen Stamm. Er gibt mir Halt, auf ihn kann ich vertrauen. Beobachte eine Weile das Spiel der Sonne zwischen den Bäumen, von den Blättern netzen letzte Regentropfen herab. Das fast magisches Spiel der unterschiedlichen Grüntöne hier mitten im Wald betört mich. Die Vögel singen ihre Lieder, ein naher Bach gurgelt und plätschert vor sich hin. Die Blätter rascheln leise im Wind.

Gedankenverloren strecke ich meine Hände vor mich und fülle sie mit Waldboden. Rieche daran. Ein intensiver Geruch. Mikroben und Bakterien in Fülle. Sie bauen permanent alles Stoffliche um. Der Humus lebt. Fruchtbare Nährstoffe für den Wald. Und gut für unsere Darmgesundheit. Ich werde sehr nachdenklich. Schon die hebräische Sprache weiß, dass wir Erdwesen sind. Adam, der Mensch, aus Erde gemacht. Beseelt vom göttlichen Atem. Und die Humanitas, die Menschlichkeit, ist vom Wortstamm her nicht vom Humus zu trennen. Demut, das ist das lateinische Wort für humilitas: Die Demut ist bodenständig. Es geht um den Grund unseres Seins. Erde zu Erde, Staub zu Staub. Ich bin von Erde genommen und werden wieder zu Erde werden. Doch der Weg dieser Erkenntnis von Kopf ins Herz, der ist nicht leicht. Ich bin nicht der Nabel der Welt, doch eingewoben in ein großes Ganzes, dass mich immer wieder staunen lässt; so voller Schönheit. Im Kleinsten wie im ganz Großen.

In tiefen Frieden gehe ich zurück zu meiner Vespa, der leuchtend roten, die geduldig auf mich gewartet hatte. Sie trägt mich durch den so ruppigen Verkehr in der Stadt, rote Ampeln: eine Aufforderung zum Vollgasgeben; mit röhrendem Motor. Auch wenn es eine Fußgängerampel ist. Jede freie Lücke wird aggressiv angefahren. Ständiges Hupen. Doch bei alle den Beobachtungen muss ich innerlich lächeln. Rufe mir mein Waldbild, das ich tief in mir verankert habe, in Erinnerung. Mein Lieblingsbaum taucht vor meinem inneren Auge auf. In tiefen Frieden gleite ich durch den wuseligen Verkehr. Geerdet.

 

Rüdiger Schaller, 07.01.2025

Autor des Buches: In die Stille

 

 

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