Die Seele, das ist das, was ich wirklich bin, was mich ausmacht. Es ist weit mehr als mein Spiegelbild und als der gebrechliche Körper, den ich irgendwann einmal wieder ablege. Die Seele beschränkt sich nicht auf Gene und Gedanken, sie ist die Kraft, die mich lebendig sein lässt. Und sie weckt eine Sehnsucht in mir nach etwas, das weit über mich hinausgeht, weil sie weiß, wo ich herkomme und wo ich hingehe. Sie kennt nicht nur das Ich, das ich bin, sondern auch mein göttliches Gegenüber.

Zieleinlauf - das Jahr vor dem Treppensturz
Geist, Körper und Seele im Einklang, das gibt den feinen Geschmack von Leben. Stille und Bewegung im Wechsel. Bewegung ist Leben. Den Tanz des Lebens tanzen, doch was unterbricht ihn? Wohin will meine Seele mich führen?
Über die letzten Jahre habe ich gerade in der Bieler Nacht etliches erlebt, vieles über mich entdeckt und gelernt. Bereicherungen für mein Leben. Dieses Jahr, da kam ich schwer in die Vorbereitung rein. Nach einigen Virusinfekten: Nein, ich kann dieses Jahr nicht in Biel starten. So traurig ich darüber auch bin. Zunächst noch hatte ich mit mir verhandelt: Du hast doch genug Erfahrung und Substanz.
Mit jedem Infekt wandelte sich dann die Hoffnung in ein realistisches Annehmen: Durch die vielen Antibiotika war der Körper zu geschwächt, weit entfernt auch von seiner Lebendigkeit. Nach Absetzen der Mittel spontane Besserung des Körpergefühls. Immerhin der Marathon in Mainz stand an. Gebucht im Oktober letzten Jahres doch dieses Mal lief ich gezielt den Halbmarathon. Irgendwie passend das Motto der Charity-Aktion, die ich mit unterstützte: Lebenslauf. Vor dem Start eine freudige Begegnung: Constanze und Walter Wagner, die rasenden Reporter vom LaufReport. Bekannt auch für ihre tollen, fachlich fundierten Laufberichte. Ein kurzes Gespräch, dann ging´s zum Start. Fokussiertes Laufen, entspannt und konzentriert: nach knapp 2 Stunden und 40 Minuten im Ziel. Nach 3 Monaten ohne Training und 2 Trainingsläufen über 5 und 11 km: Ich bin zufrieden! Es geht mir körperlich zunehmend besser.
Eine Woche später bei Regen auf einer Steintreppe ausgerutscht: Quadricepssehnenruptur links, so die Diagnose. Ein paar Tage später die OP, gut verlaufen, zum Glück. Im Krankenhaus ein Gespräch mit einem Leidensgenossen, das mich nachdenklich machte: In dem Unternehmen, in dem er arbeitet, gab es einen Führungswechsel. Neues Label für die Zusammenarbeit "Wir gemeinsam im Team". Doch hinter dem Motto feierten Machtstrukturen mit eingefordertem bedingungslosem Gehorsam fröhliche Urstände. Ein Grundübel in der Gesellschaft, dieses Eichmann´sche Kopfeinziehen, diese Banalität des Bösen in einem rein auf Macht ausgerichteten Zusammenleben. Gepaart mit einem System der üblen Nachrede und des Rufmords gegen Menschen, die aufrecht durch diese Welt gehen. Was entfernt Menschen so sehr von ihrer Seele, von ihrem Herzen?
Jetzt, einige Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, da habe ich mich mit dem Unfall versöhnt. Nach den beiden bisherigen zwei einschneidenden Unfällen in meinem Leben hatten sich im Rückblick sehr segensreiche neue Wege und Entwicklungen aufgetan. Die mich bis hierher gebracht haben, da wo ich jetzt im Leben stehe. Ich misse nichts. Gemeinsam ist den Unfällen, dass sie so heftig waren, dass ich sie nicht ignorieren konnte. Und dass ich keine wirklich bleibenden körperlichen Schäden erlitten habe. So bin ich gespannt, welcher Lebensraum sich in seiner Zeit für mich öffnet. Meine Neugierde steigt! Auch wenn jetzt erst mal die möglichst vollständige Genesung ansteht. Doch mit dem Atem des Ausdauerläufers werde ich das die nächsten Monate schaffen. Mein kurzfristiges Ziel, das mich begeistert: An der Hochzeit meiner Tochter will ich den Brautwalzer tanzen, gerne auch mit Schiene. Das bekomme ich hin - sie ist doch so stolz und freut sich so sehr!
Und ganz leise, im Hintergrund, pocht schon Biel 2020 an die Tür, ganz sanft aber doch gut vernehmlich. Es leuchtet am Horizont, noch vor der Austragung 2019. Wieder in die Nacht eintauchen, sie riechen. Im Wechsel von Dunkelheit zum Licht neues Erahnen. Den vollen Tag schmecken. Dann die stille Freude beim Zieleinlauf genießen.
Beitrag von Rüdiger Schaller 30.5.2019
Kommentar hinzufügen
Kommentare