Im Ziel: Durchatmen! Zeit nehmen, das Erlebte sacken zu lassen. Noch ohne Worte, voller Eindrücke, Impressionen und neuer Erfahrungen. Unendlich dicht ist das Erlebte. Erfahrungsräume, geschaffen wie von Zauberhand. Nein: Von Menschen, die mit Leidenschaft, Ausdauer und großer Herzlichkeit die Bieler Lauftage vorbereitet und durchgeführt hatten. Allein an jedem der üppig bestückten Verpflegungsstände immer frisch zubereitete Nahrung und volle Getränkebecher.
Jederzeit freundliche Helfer, die uns unterstützen, mit einem Lächeln und einem aufmunternden Zuspruch anfeuerten. Streckenposten, die über Stunden mit hoher Achtsamkeit uns Läufer lenkten und bei den Straßenüberquerungen sicherten. Viele Andere arbeiteten im Hintergrund und trugen mit ihrem Wirken einen wichtigen Teil zum Gelingen bei.
54. 100-km-Lauf von Biel 2012 : Die Lauftage leben, nach all der Kritik vom letzten Jahr und den Abgesängen. Wieder ein Beitrag zum Mythos Biel, zu den unzähligen Erlebnissen und Berichten über die vielen Jahre; manches auch verklärend. Und immer wieder neben den rein sportlichen Aspekten auch eine Möglichkeit für Jeden, der dies will, individuelle Erfahrungsräume zu erlaufen. Quasi ein 100km langer Pilgerweg auf dem großen Rundkurs durch das Seenland. Nach dem Start in der hell erleuchteten Innenstadt hinein in das Dunkel der Felder und Wälder, nur hin und wieder unterbrochen durch das durchqueren nächtlicher Dörfer. Weiter, immer weiter, bis der Tag zu erahnen ist. Im hellen, dieses Mal mit viel Sonne, schlussendlich dem Ziel entgegen.


Im "Underground" von Bätterkinden bei km 62 erwartet ein Versorgungsteam die Läufer
Im Rückblick, mitten in der Nacht, in den Wäldern, dann wenn das Mondlicht durch die Wolken bricht, fast mystische Erfahrungen. Vorab, das hat nichts mit Mystizismus zu tun, der Klares verschleiert, sondern mit einer Art der Welt- und Selbstwahrnehmung, die noch vor der durch Begriffe geprägten Wahrnehmung kommt. Die Vorbereitung war dieses Mal nicht gut, Krankheit im November, dann im Dezember der Tod der Mutter. Trauerarbeit und Wohnungsauflösung. Leben ist und bleibt unergründlich und nicht steuerbar. Das Lauftraining trat in den Hintergrund, erst ab März hatte ich mich wieder in ein regelmäßiges Laufen hineingearbeitet. Es lief nicht rund, doch ich blieb dabei. Denn Leben ist Bewegung, auch wenn man manchmal etwas selbst dazu beizutragen hat; aus wohlverstandener Eigenverantwortung.
Nun, auf der Anreise nach Biel Zweifel: Langt der Trainingsstand? Übernehme ich mich? Ja es kam bei der Ankunft am Bahnhof Angst auf, ein starker Impuls, der mich körperlich drängte, einfach umzukehren. Doch ich blieb achtsam und dachte wieder an mein Leitmotto für dieses Jahr: Das Leben siegt! So ging es weiter, zum Start. Nach dem Startschuss war ich ganz angekommen, mitten in dem Läuferfeld. Kein euphorisches Abklatschen und Aufpuschen, nein eher ruhige, stille Konzentration auf die anstehende Ausdauerprüfung. Vor meinem inneren Auge sehe ich noch heute die verschiedenen Stationen auf der Strecke, teils schon vertraut nach dem nun sechsten Start. Jeder Lauf hatte seine eigenen Erfahrungen gebracht. So auch dieser Lauf: Wieder im Leben angekommen, dabei die Ängste angenommen und nicht verdrängt. Das macht frei, auf einer tiefen Ebene. So breitet sich Frieden aus, gepaart mit stiller Freude und Stolz über die erbrachte Willensleistung. Fast 14 Stunden auf den Punkt fokussiert, die ganze Kraft auf ein Ziel ausgerichtet. Hingabe an etwas Größeres und dann komfortabel im Ziel angekommen. Aus christlichem Hintergrund betrachtet, ein wesentlicher Aspekt der Osterhoffnung, geboren aus dem Ostermysterium: Das Leben siegt!
Beitrag von Rüdiger Schaller - Fotos © LaufReport
Kommentar hinzufügen
Kommentare