Wegstrecke zur inneren Freiheit

Veröffentlicht am 27. April 2025 um 16:22

Biel 2011: Begegnungen mit Mitstartern, Zuschauern und mir selbst. In einer ersten kurzen Bilanz taucht zuerst das Bild eines Mitstarters auf. Wir trafen uns bei der Rückreise auf dem Bahnhof. Sein Anblick berührte mich auf eine merkwürdige Art und Weise. Irgendwie stand er verloren in der Menschenmenge. Mit traurigen Augen.

Er musste bei KM 56 aufgeben. Nach fünfzig Kilometern war er stehen geblieben und kühlte sofort aus. An ein Weiterlaufen war mit verhärteter Muskulatur nicht mehr zu denken. Doch etwas tiefer in seiner Seele Liegendes stimmte ihn wirklich traurig. Im kurzen Gespräch offenbarte er mir, wie sehr er daran leide, dass er sich in seinem privaten Umfeld nicht richtig verständlich machen könne. Wenn er seine Erfahrungen mitteilen wolle, dann würde er eher Achselzucken oder billige Phrasen ernten. Ja, es ist schon speziell, was gerade Ultraläufer erleben können. Vor allem, wenn Sie sich auf einen inneren Weg machen. Sie stellen sich Herausforderungen und Prüfungen, die sich viele Menschen nicht vorstellen können; oder es nicht wollen. Ganz anders mein Erleben während des Laufes. Anfeuerung an vielen Streckenpunkten; die ehrliche Anerkennung aus dem Herzen tut gerade auf den letzten Kilometern gut. Sie trägt weiter. Respekt vor der Leistung und Wertschätzung jedes Einzelnen auf Augenhöhe auch im Ziel von den Helfern. Was für eine Leistung der Organisatoren, so viele freiwillige Helfer zu motivieren, die uns zu jeder Nacht- und Tageszeit freundlich empfingen und geholfen haben. Das ist es, was bleibt - nicht die von manchen reklamierten Pannen und angeblichen Mängel in der Organisation.: "Da muss man sich ja so zurückhalten, um nicht schneller als 6er-Schnitt zu laufen."

Raum der Begegnung, der Begegnung mit mir.

53. Bieler Nachtlauf über 100 km: Raum der Begegnung -

Mit wenig Training ging ich an den Start. Im November war ich nach einem Unfall am Meniskus operiert worden. Doch die Heilung verlief gut, geradezu sensationell gut! Dank der liebevollen Unterstützung des Physiotherapeutenteams in Wiesbaden-Auringen, meinem Heimatort. Und der professionellen Hilfestellung im MedX-Fitnesszentrum in Wiesbaden. Geduldiger Aufbau im Rahmen der Möglichkeiten, das war angesagt. Und ein Stöbern in den Hilfestellungen im LaufReport. So fasste ich nach einem Probemarathon Mut für die Anmeldung. Dann doch noch ein "Panne" - ein Augenblick der Unachtsamkeit und ich stürzte bei meinem letzten Trainingslauf vor Biel: Schürfwunde am rechten Knie. Mit Hilfe von Tipps des Laufdoc´s Ziegler versorgte ich die Wunde und war tatsächlich am Freitag schmerzfrei. Trotzdem war mir bei der Fahrt im Zug etwas mulmig zu Mute. Doch vorweggenommen: Das Knie hielt bis in das Ziel, das einzige Problem waren da leicht verhärtet Waden! Hier verschaffte die Massage nach der so ersehnten warmen Dusche Abhilfe; es war ja quasi über 14 Stunden eine Regenschlacht bei Wind und frischen Temperaturen. Was mich im Gegensatz zu vielen Mitläufern begeisterte: Ich hatte keine Blasen an den Füßen; trotz von Beginn an durchnässter Schuhe.

Heftige Regengüsse begleiteten die Läufer der Bieler Lauftage 2011

Nur eines hatte ich mir beim Start vorgenommen: Gut Ankommen - in Achtsamkeit für mich. Achtsam, das heißt für mich sorgen. Kein Überziehen, kein Verhärten und dabei aber auch den vielfältigen Ablenkungen, die zum Ausstieg verlocken oder drängen, nicht nachgeben. So wurde der Lauf ein Lauf in innere Welten. Begünstig durch den nach dem ersten Kilometer einsetzenden Regen. Über die Umstände jammern, über jede Pfütze meckern? Nein, die Umstände im Außen sind übermächtig, nicht zu ändern. So bleibt nur der innere Umgang mit dem, was von Außen kommt. Vieles gäbe es zu berichten über die inneren Prozesse, doch das würde im Moment zu viel Raum nehmen; mehr an anderer Stelle. Im Wesentlichen - und davon zehre ich, das bewegt mich noch immer - kam ich meiner inneren Freiheit in einer bislang nicht geahnten Qualität näher. Nicht Spielball der äußeren Umstände, sondern aus eigener Entscheidung handeln. Das gibt einen ersten Geschmack von einer bestimmten Freiheit, die jedem von uns innewohnt. Sie hat die Qualität, die auch einen tiefen Sinn im Leiden und im Sterben erkennt. Und so dem Leben eine neue Ausrichtung gibt. Hin zu mehr Frieden und Heimkehr, dabei dem Leben geben, was es von mir erwartet: Hingabe. In Anlehnung an Victor E. Frankl " …….trotzdem Ja zum Leben".

Ich hoffe, dass die Organisatoren in Biel uns trotz aller Schwierigkeiten auch in Zukunft weiterhin Räume der Begegnung schenken. Es liegt schon etwas Besonderes über dem Bieler Lauf, doch man kann das nur für sich selbst erfahren, wenn man das will. So kann der Wille als zielgerichtete Energie trainiert werden. Ausrichtung auf ein Ziel, auf das Ankommen. Übungsraum für das Leben, so möchte ich meinen kurzen Bericht heute unterschreiben.

Beitrag von Rüdiger Schaller - Fotos © LaufReport

 

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