Ein Abenteuer - Ultramarathon

Veröffentlicht am 27. April 2025 um 13:15

Ultramarathon – eine besonderes Ausdauerprüfung. Hier liegt die Herausforderung im Bewältigen der gewaltigen Strecke, nicht in der Konkurrenzsituation mit anderen Teilnehmern; ausgenommen hiervon sind die Spitzenläufer.

Der 50. 100-km-Lauf von Biel 2008 -

Der Lauf startet am Abend. Die Strecke ist ein einziger großer Rundkurs mit wechselnden Eindrücken. Sie führt zunächst durch das hell erleuchtete Biel, mit dem Flair eines Stadtmarathons. Danach geht es hinein ins Dunkle, in die Nacht. Das verstärkt den Abenteuercharakter. Laufen mit Stirnlampe in einem nach einiger Zeit weit auseinander gezogenem Läuferfeld. Dieses Mal – es ist der 50. Jubiläumslauf – stellen sich über 3.000 Läufer- und Läuferinnen der Strecke. Hin und wieder Gespräche mit Mitläufern. Doch mit der Zeit kommt der Punkt, an dem das persönliche Tief sich Raum greift. Da ist man alleine, sehr alleine. Mit sich, inmitten der prallen Natur. Im Bewältigen dieser Krise wächst neue Kraft und Zuversicht, das noch weit entfernte Ziel zu erreichen. Es sind noch Stunden zu laufen, wenn der Morgen anbricht und die Natur erwacht.

Doch dieses Mal, anders als im letzten Jahr, keine Krise. Im Gegensatz dazu eine ganz andere, neue Erfahrung: Es kommen Zweifel: "Langt der Trainingsstand? Wenn Du jetzt geht's, schaffst Du es dann noch im Zeitlimit?" Aber, und das ist das Neue: Ich gebe diesen Gedanken, die sich leise einschleichen und in mir einnisten wollen, keine Macht über mich. Ich entscheide mich: Zweifel sind nicht gestattet – ich bin ausreichend trainiert und werde zu meiner Zeit ins Ziel kommen. So laufe ich weiter in die Nacht hinein, dem schon langsam heraufziehenden Morgen entgegen. Was für eine Kraft Gedanken haben können! Und wie eine von mir getroffene Entscheidung meine Erlebensqualität ändern kann.

Das bewege ich noch eine Weile in meinem Bewusstsein, während ich laufe. Dabei sauge ich die inzwischen doch kühle Luft in die Lungen und fokussiere mich immer wieder auf den Augenblick. Auf das "Hier und Jetzt". Nicht in Gedanken schon 20 Kilometer weiter sein und überlegen, wie es dort sein könnte. Ja, immer wieder mit Achtsamkeit den Augenblick mit all seinen Facetten wahrnehmen – die Bäume, die Felder, die Berge in den wechselnden Lichtverhältnissen, die Wege entlang der Flüsse, den Emmendamm, die nicht abreisende Lichterkette, mit der die Läufer ihre Spuren in die Nacht ziehen. Und vieles mehr, wie die Gräser und Blumen am Wegesrand. Sich öffnen, all dies ins sich aufnehmen, Eins werden in der Bewegung mit der Natur und sich selbst – ein wertvolles Geschenk. Ein Geschenk, für das ich unendlich Dankbar bin. Dankbar, dass ich gesund bin und voll im Leben stehe. Dafür Danke ich Gott und ich weiß, seine Begleitung ist mir auch hier sicher. Laufen als Meditation, als Körpergebet, schießt es mir in den Sinn.

Über Stunden wieder und wieder auf den Augenblick fokussieren, das ist dieses Jahr die Herausforderung für mich. Geduld und Willensstärke werden so geschult. Locker bleiben, den eigenen Rhythmus immer wieder finden und halten. Auch wenn schon fast 90 km gelaufen sind. Nun geht es eine Zeit an dem mit Bäumen bewachsenen Ufer der Aare entlang, die an dieser Stelle in sanften Schwüngen mitten durch Getreidefelder fließt. Das Ziel ist jetzt schon in Volkslaufnähe. Nochmals konzentriert die Kräfte mobilisieren. Auf den letzten Kilometern werden etliche Läufer, die sich im Tempo übernommen haben, überholt. Das Ziel fliegt quasi heran. Unbeschreiblich das Gefühl, die Ziellinie zu überqueren und die Finisher-Medaille zu empfangen. Lohn für fast sieben Monate Training, konsequent durchgezogen. Auch im Winter, bei Nacht, Nebel und an Regentagen. Gegen Anfang Februar wurde die Umstellung auf die Sommerzeit herbei gesehnt, da fiel es schwer, weiter Motivation für Trainingsläufe im Dunklen zu finden.

Für den Jubiläumslauf Jahr hatte ich mir den Trainingsplan vom Laufreport für 11 Stunden vorgenommen. Etwas übermotiviert hatte ich mir allerdings im Februar – beim Krafttraining – eine Zerrung im Oberschenkel zugezogen. Deswegen musste ich pausieren. Mut hat mir in dieser Zeit eine Anregung aus dem Laufreport gegeben: "Es ist noch genug Zeit bis Biel!" Von daher hatte ich mich langsam wieder an das Trainingspensum herangearbeitet. Und dabei festgestellt: Die Monate zuvor wurde eine gute Ausdauergrundlage gelegt! Nun stand Biel an und ich legte mich auf eine Zeit von 12 Stunden als Zielzeit fest. Es fehlten einige Trainingskilometer und vor allem folgte ich meinem Motto, das über allem steht: Ich sorge für mich, ich laufe für meine Gesundheit. Laufen steht für Bewegung, Lebendigkeit. Aus guter Gesundheit erwächst Lebensfreude und eine Kraft, mit der auch die Herausforderungen des Alltages besser bewältigt werden können. Sei es in der Familie oder im Beruf, zum Beispiel bei lang laufenden und herausfordernden Projekten. Auch hier gilt es mit Disziplin und Willenstärke Höhe und Tiefen zu überwinden und sich gerade in schwierigen Umfeldern auf das Erreichen des Zieles zu fokussieren. Und es zu erreichen, auch und gerade dann, wenn dazu eigene Grenzen überschritten werden müssen.

Zum Abschluss noch eine Anmerkung: Das Abenteuer geht weiter, auf Wiedersehen in Biel 2009! Das möchte ich vor allem den Organisatoren zurufen, die mit ihrem großen Einsatz und ihrer mehr als freundlichen Art und Weise uns Läufern die Möglichkeit geben, dies alles erleben zu können!

Rüdiger Schaller 
Persönliche Bestzeit (2. Teilnahme) in Biel 2008: 12:00:28

p.s.: Selbst Wochen nach dem Lauf werde ich auf mein häufiges "Grinsen" und meine gute Laune angesprochen. Ich wäre wohl in Urlaub gewesen, oder so. Oft ernte ich ungläubiges Staunen, wenn ich ihnen sage, dass ich gerade einen 100km-Lauf genossen habe und es mir gut geht; ja genossen habe ich den Lauf! So wie die Pizza und das Weißbier, dass ich mir Abends zu Hause gönnte. Ich glaube, so richtig verstehen kann das nur jemand, der schon mal mitgelaufen ist.

Und "last but not least": Ein herzliches Dankeschön an meinen Laufsportberater! Der Tipp mit den Schuhen war gerade zu genial!

Beitrag von Rüdiger Schaller - Fotos © LaufReport

 

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